Warum?


Zwei junge Menschen begegnen sich bei Musik und Tanz, sie lernen sich kennen und lieben, das Leben ist schön.

Was sie beide nicht wissen: sie tragen einen genetischen Defekt in sich. Beide.
Beide den gleichen.

Die junge Frau und der junge Mann ahnen nichts. Sie beschließen, den Lebensweg gemeinsam zu gehen, heiraten und bekommen zwei gesunde, schöne Töchter. Das Leben ist schön.

Die dritte Schwangerschaft verläuft unproblematisch, Leila wird genauso wie ihre Schwestern mit Kaiserschnitt geboren und kann in einer liebevollen Umgebung heranwachsen. Leila entwickelt sich langsam, braucht viel Zeit. Merkwürdig, dass ihre Haut nicht so zartweich ist, wie die anderer Babys. Auch ihr Haar ist etwas struppig. Aber sie ist ein fröhliches Mädchen, liebenswert, anhänglich. Das Leben ist schön.

Bis dann nach vielen Infekten, die nicht ausheilen wollen, eine Odyssee von Kinderarzt zu Kinderarzt beginnt. Inzwischen hat Leila ein anderes Aussehen: die Augenbrauen sind buschig und zusammengewachsen. Die Lippen sind wulstig. Die Zunge ist vergrößert . Der Hals bleibt kurz. Auffällig ist auch der vorgewölbte, ausladende Bauch. Irgendwann ist ein Arzt in der Lage, die genaue Diagnose zustellen:

Mukopolysaccharidose Typ 1 

Mit der ersten Nahrungsaufnahme werden bestimmte Stoffwechselprodukte auf Grund eines fehlenden Enzyms nicht ausgeschieden, sondern lagern sich im
Körper ab, im Skelett, in den Organen, im Gehirn. Sie führen dort zu Störungen, zu immer weiter fortschreitender Schwerstbehinderung.

Das Leben ist nicht mehr schön. Es ist so unendlich anstrengend für die ganze Familie.

Welch ein Hohn, wenn die Krankenkasse eine Mutter-Kind-Kur verweigert mit der Begründung, es habe doch sowieso keinen Zweck!

Leila stirbt im Alter von 5 Jahren ganz leise.


Inzwischen sind 10 Jahre vergangen.

Inzwischen ist die Forschung einen kleinen Schritt vorangekommen, indem ein Enzymersatz gefunden wurde, der die Symptome etwas mildern kann. Inzwischen sind Hospize gebaut worden, um Eltern und Kinder zu betreuen. Heilung gibt es nicht.

Damit das meist sehr kurze Leben sinnvoll gestaltet und der frühe Tod in Würde und Geborgenheit erfahren werden kann, gibt es seit nahezu 25 Jahren Hilfe durch die Gesellschaft für MPS. Leilas Eltern arbeiten dort immer noch in der Verwaltung und als Trauerbegleiter. Der Verein gibt den Familien Halt, er berät und begleitet, er klärt auf und fördert die Forschung.

Ein besonderes Anliegen sind die gesunden Geschwisterkinder, deren Leben ständig durch den Wechsel zwischen Freude und Unfreude belastet ist.

Den Begriff 'Unfreude' hat ein 7jähriger geprägt, der mit dem Wort Trauer nichts anfangen konnte.

Eltern und Geschwister können mit einem MPS-kranken Kind eine reiche Zeit voller Liebe erleben, vorausgesetzt, sie werden nicht allein gelassen sondern sind eingebunden in einen Kreis von Helfern.

Am 15.Mai ist der internationale Tag der MPS. An diesem Tag wird diese seltene Krankheit an vielen Orten in die Öffentlichkeit gestellt,

damit gemeinsam Hoffnung gegeben werden kann,

durch Reden, durch Taten, durch Spenden, durch Gebete,

Hoffnung darauf, dass eines Tages kein Kind mehr an Mukopolysaccharidose sterben muß!

(Ansprache in der Alexanderkirche zu Wildeshausen bei der musikalischen Abendandacht zum Abschluß des MPS-Tages 15.Mai 2010)